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Christlicher Abgeordneter für EU-Beitritt der Türkei

Christlicher Abgeordneter für EU-Beitritt der Türkei

Erol Dora hielt sich auf Einladung der österreichischen Sektion der „Assyrischen Demokratischen Organisation“ in Wien auf – Große Hoffnungen auf die neue Verfassung – Türkei braucht Meinungsfreiheit ohne Einschränkungen und volle Religionsfreiheit, Rechte der Minderheiten müssen anerkannt werden

Wien, 02.04.12 (poi) „Wir sind für den EU-Beitritt der Türkei, weil wir uns zu einem Wertesystem bekennen, das auf Freiheit, Demokratie und Respektierung der Menschenrechte beruht. Alle Kriterien für einen Beitritt müssen von der Türkei voll erfüllt werden“: Dies betonte Erol Dora, der als erster assyrischer Christ dem türkischen Parlament angehört, bei einem Wien-Besuch vor Journalisten. Mit dem 48-jährigen Rechtsanwalt ist zum ersten Mal seit der Menderes-Zeit in den fünfziger Jahren wieder ein Christ Mitglied der Nationalversammlung in Ankara. Dora hielt sich auf Einladung der österreichischen Sektion der weltweiten „Assyrischen Demokratischen Organisation“ (ADO) in Wien auf, wo er einen Vortrag über die „Menschenrechte von Minderheiten in der Türkei“ hielt und mit österreichischen Parlamentariern sowie „Pro Oriente“-Präsident Hans Marte zusammentraf. Er gehört der BDP-Fraktion an (Barış ve Demokrasi Partisi/Partiya Asti u Demokrasiye, Partei des Friedens und der Demokratie), seine Wahl im Juni des Vorjahrs wurde vor allem auch durch kurdische Stimmen ermöglicht. Das Kurdenproblem könne nicht durch Gewalt gelöst werden, betonte Dora, sondern nur Dialog und Verhandlungen: „Ich möchte nicht, dass irgendeine Mutter in der Türkei weinen muss, weil ihr Sohn bei bewaffneten Auseinandersetzungen getötet wurde“.

Der vielsprachige Abgeordnete (aramäisch, armenisch, türkisch, kurdisch) betonte die nach wie vor gegebene multiethnische und multireligiöse Struktur der Türkei. Die Präsenz der Minderheiten müsse anerkannt werden, er trete für Meinungsfreiheit ohne Einschränkungen ein, für volle Religionsfreiheit und für das Recht der Angehörigen der Minderheiten auf den öffentlichen Gebrauch ihrer Sprache, insbesondere auch in der Schule. Von großer Bedeutung sei auch die Unabhängigkeit der Justiz. Große Hoffnungen setzt Erol Dura auf die derzeit in Gang befindliche Erarbeitung der neuen türkischen Verfassung. Diese „zivile“ Verfassung müsse sich an den Menschenrechten orientieren und an die Stelle der nationalistischen Engführung den Verfassungspatriotismus setzen. Es sei ein positives Zeichen, dass im Verfassungsausschuss je drei Abgeordnete der vier Parlamentsparteien sitzen und dass die Minderheiten und die Vertreter der Zivilgesellschaft gehört werden. Derzeit sei in der Türkei ein umfassender Veränderungsprozess im Gang, aber es bleibe noch viel zu tun.

Im Bereich der Religionsfreiheit plädierte der Abgeordnete u.a. für die Abschaffung des verpflichtenden islamisch-sunnitischen Religionsunterrichts, an dem auch Schüler anderer Konfession teilnehmen müssen, der enteignete Grund- und Immobilienbesitz christlicher frommer Stiftungen („vakiflar“) müsse zurückgegeben werden. Bei der Rückgabe gebe es nach wie vor „Probleme in der Verwaltung“. Die Wurzel der Auseinandersetzungen um das weltweit bekannte syrisch-orthodoxe Kloster Mar Gabriel sei das Fehlen eines verlässlichen Grundkatasters. Dora wies auch auf die Probleme der Aleviten hin, deren sakrale Versammlungsräume („cem“) von den türkischen Behörden nicht als Gotteshäuser anerkannt werden. Auch die Ungleichbehandlung der Konfessionen durch den Staat (die islamisch-sunnitischen Geistlichen werden vom Staat bezahlt) müsse aufhören; das „Diyanet“ (derzeit eine staatliche Oberbehörde für die Belange des islamisch-sunnitischen Kultus im ganzen Land) sollte in ein Kultusamt umgewandelt werden, das sich um die Gestaltung der Beziehungen zwischen Staat und Konfessionen annimmt.

Im Hinblick auf die umstrittenen türkischen Schulbücher für den Geschichtsunterricht an den Gymnasien („lisesi“), in denen die christlichen Minderheiten herabgewürdigt werden, habe er im Dezember eine vielbeachtete Pressekonferenz im Parlament in Ankara gegeben, sagte Dora. Der Unterrichtsminister – der sich darauf berief, dass die Bücher „vor seiner Zeit“ genehmigt wurden – habe zugesagt, dass die Texte bis zum Beginn des Schuljahres 2012/13 gründlich revidiert werden.

In seinem Vortrag erinnerte Erol Dora an die ím Westen vergessene große Geschichte und die herausragenden kulturellen Leistungen der christlichen „Assyrer“. Sie seien das erste Volk gewesen, das – ausgehend vom Fürstentum Edessa/Urfa – als ganzes das Christentum angenommen habe. Heute sei das Volk in seinen unterschiedlichen Konfessionen – syrisch-orthodoxe Kirche, syrisch-katholische Kirche, chaldäisch-katholische Kirche, Apostolische Kirche des Ostens – auf verschiedene Staaten – Türkei, Syrien, Irak, Iran – verstreut. Aus dem Irak seien mittlerweile hunderttausende Christen geflohen, auch in Syrien bestehe für die Minderheiten „Lebensgefahr“. Seit 50 Jahren gebe es in Europa eine große „assyrische“ Emigration, aber jeder Mensch habe das Recht, in seiner ursprünglichen Heimat zu leben.

Der Vorsitzende der österreichischen ADO-Sektion, der Brigittenauer Bezirksrat Aslan Ergen, erinnerte daran, dass die im Vorjahr versprochene Rückgabe des 1936 beschlagnahmten Grund- und Immobilienbesitzes christlicher frommer Stiftungen nur sehr schleppend vor sich geht. Außerdem müsse man bedenken, dass in den Jahren 1914 bis 1924 bei der Ermordung und Vertreibung großer christlicher Bevölkerungsgruppen (Armenier, Assyrer, Pontus- und Ägäisgriechen) ungeheure Besitztümer enteignet worden seien, auch darüber müsse geredet werden. Noch von den sechziger bis zu den achtziger Jahren sei im Zug der Auseinandersetzung zwischen dem Militärregime und den Kurden massiver Druck auf die syrischen Christen („Assyrer“) im Tur Abdin ausgeübt worden, die als Christen nicht ins Konzept gepasst hätten. Die früher 200.000 Personen umfassende Volksgruppe sei heute dramatisch reduziert.

Von türkischer Seite werde für die Kinder der Emigranten in verschiedenen europäischen Ländern das Recht auf türkischen Schulunterricht verlangt, was er durchaus unterstütze, betonte Ergen. Aber dann müsse auch in der Türkei für die Kinder der Angehörigen der Minderheiten die Möglichkeit zum muttersprachlichen Unterricht bestehen.

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