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Blau ist die Hoffnung

Die Beteiligung an den Wahlen im Irak war unerwartet hoch. Der blau gef?rbte Zeigefinger wurde zum Symbol der Demokratisierung. von thomas von der osten-sacken, suleymania


Es ist fraglich, ob Musab al-Zarqawi, der drei Tage vor der Wahl im Irak medienwirksam der Demokratie den Krieg erkl?rt und gedroht hatte, die Stra?en des Irak in Blut zu waschen, je erfahren wird, wie der Wahltag in seinem ehemaligen Hauptquartier abgelaufen ist. In Biara, einer kurdischen Kleinstadt an der iranischen Grenze, erinnert man sich jedenfalls noch gut an die Zeiten, als Zarqawi hier mit seiner Armee des Islam ein Regime nach dem Modell der Taliban errichtet hatte, bis die US-Armee und kurdische Milizeinheiten im M?rz 2003 die Gegend befreiten.


Anschl?ge im kurdischen Nordirak waren am ehesten hier zu bef?rchten. Dementsprechend ?bertrafen am Wahltag die Sicherheitsvorkehrungen in Biara noch die in anderen Teilen Kurdistans. Privatfahrzeuge waren aus dem Stra?enverkehr verbannt, ?berall kontrollierten Sicherheitskr?fte den Verkehr, Wahllokale, die in der Regel in Schulen eingerichtet waren, wurden weitr?umig abgesperrt, um Selbstmordattentate zu verhindern. Wohl noch nie in der j?ngeren Geschichte ist eine Wahl unter solchen Umst?nden vorbereitet und durchgef?hrt worden. Schlie?lich galt dem ?irakischen Widerstand? jeder W?hler als Verr?ter und wurde mit dem Tod bedroht.


In Biara aber lie? sich von den martialischen Drohungen Zarqawis niemand abschrecken. Bereits gegen 14 Uhr, so vermeldete das lokale Wahlkomitee, hatten 87 Prozent der 2 300 Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Besonders hoch sei die Beteiligung von Frauen gewesen. Noch vor zwei Jahren durften sie nur v?llig verschleiert und in Begleitung eines m?nnlichen Familienmitglieds das Haus verlassen. Nun sind zwei der vier in Biara anwesenden lokalen Wahlbeobachter Frauen aus der Region.


Die Bilder glichen sich in allen kurdischen St?dten. Schon kurz nach sieben Uhr bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. Oft stundenlang harrten die Menschen aus, um dann, nach eingehender Kontrolle, zu den Urnen vorgelassen zu werden. Sie sei so aufgeregt, berichtet Amina Qaradaghi, dass sie die Nacht vorher nicht h?tte schlafen k?nnen. Als Analphabetin hat sie sich auf einen Zettel schreiben lassen, wen sie w?hlen will: die Vereinigte Kurdische Liste f?r die Nationalversammlung in Bagdad, die gemeinsame Kurdische Liste f?r das Regionalparlament in Arbil und die Patriotische Union Kurdistans bei den Kommunalwahlen. Wie sie, so stellte sich sp?ter heraus, stimmte die ?berw?ltigende Mehrheit der W?hler und W?hlerinnen.


Schon Tage vor dem Wahltag herrschte in Suleymania Festtagsstimmung, nachts fuhren Autokorsos durch die Stadt. ?Wenn die Terroristen der Demokratie den Krieg erkl?ren, dann gehe ich erst recht w?hlen?, erkl?rte der Friseur Fuad Amin. W?hrend im schiitischen S?den des Irak die Menschen seit langem auf diesen Tag gewartet hatten, schien den Kurden seine ganze Bedeutung erst in den Wochen vor der Wahl bewusst zu werden. Schlie?lich wurde in den kurdischen Autonomiegebieten und in der Stadt Kirkuk dann eine Wahlbeteiligung von ?ber 80 Prozent verzeichnet.


Vor den Wahllokalen war die Situation in den anderen Landesteilen des Irak das Hauptgespr?chsthema. Man war sich bewusst, dass nur eine landesweit hohe Wahlbeteiligung den Urnengang auch international legitimieren w?rde. Entsprechend gro? war die Furcht, es k?nne den Terroristen gelingen, die Wahl im Chaos versinken zu lassen.


Auch wenn, unter anderem wegen der strengen Sicherheitsvorkehrungen, die irakische Sicherheitsdienste und Koalitionstruppen getroffen hatten, das angek?ndigte und von europ?ischen Medien fast herbeigesehnte Blutbad ausblieb, verliefen die Wahlen nicht ?berall so glatt wie in Suleymania. In einigen St?dten des sunnitischen Dreiecks fanden sie erst gar nicht statt, 36 Menschen fielen am Wahltag Terroranschl?gen zum Opfer.


Doch selbst im Zentralirak warfen weit mehr Menschen ihren Stimmzettel in die Urne als erwartet. In Saddams Geburtsstadt Tikrit sollen es knapp die H?lfte aller registrierten W?hler gewesen sein. Aus Baqubah meldeten irakische Journalisten, dass einerseits W?hler und Polizisten zusammen auf der Stra?e tanzten, andererseits vermummte ?Widerst?ndler? gezielt Jagd machten, um Menschen den blauen Zeigefinger wegzuschie?en. W?hrend sich in Najaf spontan Demonstranten zusammenfanden, um mit dem Slogan ?Ja zur Demokratie. Nein zur Diktatur. Lang lebe die Freiheit? durch die Stra?en zu ziehen, musste man andernorts extremen Mut beweisen, um den Weg zu den wie Festungen bewachten Wahllokalen zu wagen.


Nicht nur die wenigen internationalen Wahlbeobachter im Nordirak, sondern auch all die W?hler, die von Vertretern der Medien befragt wurden, waren mit dem Verlauf der Wahl zufrieden. Die Wahlhelfer, meist Lehrer, waren intensiv vorbereitet worden, in jedem Wahllokal hielten sich irakische Wahlbeobachter und Vertreter der verschiedenen Parteien auf, um den Wahlprozess zu ?berwachen. In einigen Orten beklagten sich Wahlbeobachter, islamistische Gruppierungen h?tten versucht, auf analphabetische W?hler Einfluss zu nehmen, insgesamt aber war in der Provinz Suleymania wenig Kritik an den Wahlen zu vernehmen.


Auch in anderen Teilen des Irak scheint es nicht zu gr??eren Unregelm??igkeiten gekommen zu sein. Eine Ausnahme ist m?glicherweise Mosul. Vertreter der assyrischen Minderheit kritisierten, in ihrer Region seien die Wahlurnen nicht ausgeliefert worden, so dass 100 000 Assyrer an der Wahl nicht h?tten teilnehmen k?nnen.


Schon am Nachmittag zeigten Menschen in den Stra?en stolz ihre mit blauer Tinte markierten Zeigefinger. Als gegen 18 Uhr landesweit die Stimmenausz?hlung begann, war die Erleichterung und Freude ?berall zu sp?ren. Mohammad Salim, Verantwortlicher f?r das Wahlkomitee einer Schule in Suleymania, meinte: ?Bevor wir wissen, wer diese Wahl gewonnen hat, wissen wir jetzt, wer sie verloren hat: die Terroristen und die arabischen Staaten, die sie unterst?tzen.? Und stolz f?gt er hinzu: ?Wir haben der Welt bewiesen, dass wir Iraker, Kurden und Araber, sehr wohl in der Lage sind, demokratische Wahlen abzuhalten.?


Zu den Verlierern geh?ren ebenfalls alle in Europa, die bis zur letzten Minute erkl?rt hatten, diese Wahlen w?rden in einem Desaster enden, ebenso wie all jene, die geglaubt oder sogar gehofft hatten, es g?be einen popul?ren ?irakischen Widerstand?, der diese Wahlen effektiv verhindern k?nnte.


Der blaue Finger sollte am n?chsten Tag zum Symbol der ersten freien Wahlen im Irak werden. Die Reform Party of Syria meldete sogar, syrische Oppositionelle h?tten sich zum Protest gegen die Diktatur Bashir al-Assads ihre Zeigefinger eingef?rbt.

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