Am 21. Oktober 2012 stellte sich der Vorsitzende des Politbüros der Assyrischen Demokratischen Organisation in Qamishli den kritischen Fragen von Amer Mourad, Reporter der Al-Kurdiye-News, zur künftigen Verwaltung des Al-Jazeere-Gebietes in Syrien.
Hier ist der vollständiger Wortlaut des Interviews:
Frage 1: Der Nationalrat der Kurden in Syrien und viele Kurden sowie andere Volksgruppen demonstrieren gemeinsam für einen alle Gruppen umfassenden Föderalismus. Akzeptieren Sie einen solchen Vorschlag?
Es ist das Recht des Nationalrats der Kurden, wie auch der Kurden und anderer ethnischen Gruppen, auf Postern und Transparenten ihre Forderungen öffentlich zu machen, soweit es keine Provokation für andere darstellt. Ich denke, dass die Kurden, die Assyrer (Suryoye) und alle anderen Nationalitäten ihre vollen Rechte im neuen Syrien, nach dem Beseitigung der Tyrannei erlangen werden und dann einen modernen demokratischen Staat aufbauen, der ihre Identität, Existenz und Rechte anerkennen wird. Diese Rechte werden in der neuen Verfassung sichergestellt, unter Zustimmung und mit dem Einverständnis aller nationalen Teilhaber.
Frage 2: Würden Sie eine alleinige kurdische Verwaltung über diese Gegend akzeptieren?
Syrien gilt vornehmlich, als ein Land des nationalen, religiösen und kulturellen Pluralismus und der Vielfalt; besonders das syrische Al-Jazeere-Gebiet [im Nord-Osten Syriens] ist das lebendige Beispiel dieser Vielfalt. Somit schließe ich einen solchen Vorschlag völlig aus. Niemand darf die Region individuell verwalten und die übrigen Partner ausschließen, unabhängig von seiner zahlenmäßigen Größe und Stärke. Ich habe keinen in diese Richtung gehenden Trend oder Bestreben feststellen können, dass seitens der Parteien der nationalen kurdischen Bewegung ein Monopol und Exklusivität in Anspruch genommen wird. Wenn es eine Tendenz oder Neigung zu einem solchen Trend bei einigen Parteien geben sollte, so werden alle ihre Isolierung fordern und sich ihnen in den Weg stellen, damit die Partnerschaft, Stabilität und Koexistenz zwischen allen Bevölkerungs-Komponenten erhalten bleibt.
Frage 3: Sollte es zu irgendeiner Art kurdischer Verwaltung des Gebietes kommen, würden Sie dann eine Partnerschaft akzeptieren? Und was wären die Bedingungen dieser Partnerschaft?
Wie ich bereits sagte, beheimatet das syrische Al-Jazeere-Gebiet die ganze Vielfalt, die in Syrien lebt, wie Araber, Kurden, Assyrer (Suryoye) und Armenier; also auch Moslems, Christen und Jeziden (Ezidi). Jede zukünftige Verwaltung dieser Region müsste diese demographische Situation berücksichtigen, weil nur darin eine vollgültige nationale Partnerschaft zwischen allen Komponenten ihren Ausdruck findet, ohne Ausgrenzung oder Marginalisierung irgendeiner [ethnischen] Gruppe.
Frage 4: Haben Sie Vorschläge für eine assyrische Verwaltung von bestimmten Gebieten?
Es gibt keinen solchen Vorschlag seitens der Assyrischen Demokratischen Organisation und es gibt keine exklusiven assyrischen Gebiete, mit Ausnahme von einigen assyrischen Dörfern entlang des Flusses Al-Khabur, die an andere Dörfer unserer arabischen und kurdischen Brüder angrenzen, während unser Volk in den Städten zusammen mit unseren arabischen und kurdischen Brüdern lebt. Deshalb wäre es unrealistisch, wenn wir solche Vorschläge unterbreiten würden.
Frage 5: Wie ist Ihre Meinung darüber, dass die [Al-Jazeere] Region zögert, sich im Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen in Syrien zu bewaffnen und zu engagieren?
Die Menschen in der Region zögerten nicht, sich an der friedlichen Revolution des syrischen Volkes zu beteiligen, im Gegenteil, sie gehörten zu den ersten, die an Demonstrationen und Protesten teilnahmen, früher als in manchen anderen Provinzen. Über einen Zeitraum von zwanzig Monaten nach Ausbruch der syrischen Revolution, behielten sie ihre friedlichen Aktivitäten bei. Das Regime hat seinerseits Provokationen in dieser Region vermieden, einerseits als Folge der Schwäche und der Erosion seiner Kapazitäten und andererseits, um seine Kapazitäten in anderen Gebieten zu nutzen. Durch diese Haltung konnten Städten und Gemeinden des Al-Jazeere-Gebiets als sichere Zuflucht für das syrische Volk dienen, die aus anderen betroffenen Gebieten vertrieben wurden.
Frage 6: Es gibt eine Bewegung unter den Christen, eine Art Exodus in Richtung Europa. Was denken Sie darüber?
Das Migrationsphänomen der Assyrer und Christen im allgemeinen im Al-Jazeere-Gebiet existierte schon lange vor der Revolution, und nach Beginn der syrischen Revolution erhöhte sich das Tempo der Migration aufgrund der wachsenden Sorge und Unsicherheit, der Angst vor dem Unbekannten und der Furcht davor, zwischen die Mühlsteine von Chaos und islamistischen Machtkämpfen zu geraten, so wie es im Irak geschah. Hinzu kommt noch die Befürchtung, dass in Syrien ein radikales fundamentalistisches Regime entstehen könnte.
Die Assyrische Demokratische Organisation war immer und ist weiterhin gegen die Auswanderung, weil sie einen Verlust unseres Volkes bedeutet und zur Assimilation führt. Daraus wird, glaube ich, deutlich, dass die ADO und die christlichen Eliten nicht die alleinige Verantwortung für die Auswanderungen haben. Vielmehr liegt es in der nationalen Verantwortung, die die gesamten nationalen Eliten tragen müssen, um dieses Ausbluten zu stoppen, das ein nationaler Verlust für alle ist.
Frage 7: Welche Situation beurteilen Sie für Ihr Volk als die Bessere: Vor oder nach dem Fall des Regimes? – Hinsichtlich der verbreiteten Behauptung, dass die Christen es immer mit dem Stärkeren halten.
Wenn Ihre Frage einen anklagenden Ton gegenüber unserem Volk und den Christen anschlägt, so ist das zur gleichen Zeit inakzeptabel und ungenau. Es haben nämlich alle Teile des gesamten Volkes sowohl Loyalisten als auch Gegner des Regimes gehabt und das, was für Araber, Kurden und muslimische Sunniten im allgemeinen gilt, sollte auch für die assyrischen Christen und andere Gruppen gelten. Ich kann nur sagen, dass das Regime bis zum heutigen Tag nicht hätte überleben können, wenn es nicht so viele Unterstützer in der arabischen Mehrheit, den Sunniten und auch unter den Kurden gegeben hätte. Ich möchte betonen, dass die Christen nicht unter dem Schutz und Absicherung des Regimes stehen. Die meisten von ihnen streben den Aufbau eines demokratisch säkularen Staates an, der auf dem Fundament von Gerechtigkeit, Gleichheit und wahrer Staatsbürgerschaft beruht. Das wollen sie mit friedlichen Mitteln erreichen und das ist eine Angelegenheit aller Syrer. Und falls Sie mit Ihrer Frage die Assyrische Demokratische Organisation meinten, so ist die Organisation nicht neu in der national demokratischen Opposition, vielmehr ein Gründungsmitglied der syrischen Opposition, beginnend mit der Damaskus-Erklärung [aus dem Jahre 2005] bis hin zum syrischen Nationalrat. Sie hat nie aufgehört, dem Recht zu folgen und ihre Stellungnahmen ehrlich zu offenbaren; und das, zu einer Zeit, als noch viele das Schweigen als Tugend betrachteten.[1]
Frage 8: Haben Sie einen eigenen Plan beziehungsweise einen Plan in Partnerschaft mit anderen Parteien, um das Jazeere-Gebiet zu schützen, sowohl vor sektiererischen Konflikten als auch vor den Problemen im Bereich der Sicherheit und Schutz des Bürgers?
Die Assyrische Demokratische Organisation arbeitet im Alleingang und geht davon aus, dass starke Beziehungen zwischen den politischen Kräften aller Bevölkerungsgruppen des Al-Jazeere-Gebiets ein Sicherheitsventil bildet, um die Partnerschaft und die Werte der Koexistenz zu wahren. Die Stärkung dieser Beziehungen schafft ein soziales Sicherheitsnetz, das die Region schützt und sektiererischen Konflikten keinen Raum lässt. Aus diesem Grund, habe ich mich mit anderen Kräften zusammengetan, um ein Komitee zu bilden, bestehend aus allen Komponenten der Gesellschaft, um den zivilen Frieden zu wahren. Wir haben außerdem auch den Vorschlag gemacht, ein politisches National-Komitee zu bilden, das alle politischen Kräfte umfasst, die an die Ziele der Revolution glauben, ein politisches Dach für eine revolutionäre Mobilität bildet und als alternative Führung in der Übergangsphase dienen kann. Die Konsultationen in dieser Hinsicht laufen noch.
Frage 9: Bemerkenswerterweise ist Ihrerseits allgemein tatsächlich keine Beteiligung an Demonstrationen vorhanden, also eher eine bescheidene Teilnahme. Welchen Grund hat das Ihrer Meinung nach?
Die Assyrische Demokratische Organisation hat sich sehr früh entschieden, der syrischen Revolution beizutreten und ihre politischen Stellungnahmen in diesem Bereich wirkten auf viele Kräfte, aber die symbolische Teilnahme an den Demonstrationen wird in Bezug auf die Umwelt, in der sich die Organisation bewegt, als akzeptabel betrachtet und, was noch wichtiger ist, dass diese Teilnahme eine Verkörperung und eine Bestätigung unserer vollen Beteiligung an der Revolution des syrischen Volkes in all seinen Komponenten darstellt.
Frage 10: Haben Sie Angst, dass islamistische Kräfte nach dem Untergang des Regimes an die Macht kommen? Und sollte dieser Fall tatsächlich geschehen, haben Sie dann einen Plan, um mit dieser Situation umzugehen?
Wir haben keine Angst vor dem Islam, weil er die Prinzipien und Werte von Recht, Gerechtigkeit, Freiheit und Partnerschaft prägt. Er stützt sich auf die Werte der Güte und Toleranz, in der gleichen Weise wie das Christentum. Angst machen aber die Versuche einiger Strömungen des politischen Islams, die in ihren Verhaltensweisen und Praktiken Ansätze zur Abschaffung der Gleichberechtigung Anderer aufweist; dies erschreckt nicht nur die Christen, sondern auch die Mehrheit der Muslime. Im Großen und Ganzen, schließen wir jedoch die Übernahme extremistisch-islamischer Strömungen eines neuen Regimes in Syrien aus, weil die Mehrheit des syrischen Volkes zur Nüchternheit und Klarheit neigt und die Werte und Richtlinien unseres modernen Zeitalters repräsentiert. Außerdem fordern alle Kräfte der Opposition den Aufbau eines bürgerlichen, pluralistischen und partizipatorischen Staates, ohne Monopolismus, Anmaßung oder der Alleinherrschaft irgendeiner Klasse über die Andere.
Qamishli (Syrien) 21. Oktober 6762 A 2012 Ch.
Interview mit Gabriel Mooshe
von Amer Mourad
Übersetzung aus der Originalsprache Arabisch ins Deutsche: Gabriel A.
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Scharfe Kritik am Luftangriff des syrischen Regimes auf das christlich-assyrischen Dorf Tal Nasri in Al-Hasake
45 km vom Zentrum der Provinz Al-Hasake entfernt bombardierte ein Flugzeug des syrischen Regimes am Mittwoch, den 14. November 2012 das christlich assyrische Dorf Tal Nasri. Dabei wurde der 15-jährige Ninos Munir getötet, außerdem gab es zahlreiche Verletzte. Zudem wurden viele Häuser und Kultstätten zerstört.
Die Assyrische Demokratische Organisation verurteilte und missbilligte diese Handlungen aufs Schärfste. Sie appellierte an die internationale und arabische Gesellschaft, weltweit für eine Beendigung der Verbrechen durch das Syrische Regime einzutreten.
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Christen in Syrien Opfer von Entführung und grausamer Ermordung
Sabri Alkan, Vorstandsmitglied der der Assyrischen Demokratischen Organisation (ADO) äußerte sich gegenüber der „Jungen Freiheit“ zur bestialischen Ermordung des griechisch-orthodoxen Priesters Fadi Jamil Hadad aus Qatana in Syrien.
Syrien: Je länger der Bürgerkrieg dauert, desto schwieriger wird es für die christliche Minderheit / Tausende sitzen auf gepackten Koffern
Die Nachricht war ein Schock. Fadi Jamil Haddad, ein griechisch-orthodoxer Priester der St.-Elias-Kirche in der syrischen Kleinstadt Qatana, ist tot. „Sie haben ihn geschlachtet“, sagt Sabri Alkan entsetzt. Das Vorstandsmitglied der Assyrischen Demokratischen Organisation in Europa (ADO), die sich für eine Stärkung des Nationalbewußtseins sowie den Erhalt und die Einheit des assyrischen Volkes im „Gebiet Mesopotamien“ (Syrien, Türkei, Irak, Iran) einsetzt, ist noch vollkommen fassungslos angesichts des jüngsten Opfers einer Gewaltwelle gegen Christen in Syrien. Der 49jährige, der inzwischen seit gut 25 Jahren in Deutschland lebt, kann noch immer nicht glauben, daß der Priester tot ist.
Sein lebloser Körper wurde am 25. Oktober im Stadtviertel Jaramana von Damaskus gefunden. Vor seinem Tod sei er skalpiert und seine Augen herausgerissen worden, hatte ein Mitglied der St.-Elias-Gemeinde berichtet. Anschließend habe man ihm die Kehle durchgeschnitten. „Auf diese Weise töten Salafisten“, meint Alkan, der sich sonst jedoch mit vorschnellen Urteilen zurückhält.
„Derzeit gibt es in Syrien zu viele Gerüchte, jede Seite verdächtigt die andere“, verdeutlicht er die unklare Lage in seinem vom Bürgerkrieg gezeichneten Heimatland. Alkan telefoniert derzeit täglich mit seinen Landsleuten, der Volksgruppe der Assyrer. „Die Ereignisse überschlagen sich im Moment“, sagt er. Er spricht von Entführungen. Von Anschlägen, die als warnende Botschaften an die Christen gerichtet seien. Die Assyrer sind Christen. Eine religiöse Minderheit im Land, die zur tragischen Gruppe des Bürgerkriegs zu werden droht. Insgesamt leben gut drei Millionen Christen in Syrien. Das sind knapp 15 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Auch Fadi Jamil Haddad war vor seiner Ermordung entführt worden. Am 19. Oktober, sechs Tage vor seinem Tod, hatte man ihn verschleppt. Angeblich sei es um Lösegeld gegangen. 550.000 Euro seien für die Freilassung des Priesters gefordert worden. Von wem, das ist noch unbekannt.
Weil das Terrornetzwerk al-Qaida derzeit zu systematischen Entführungen aufruft, vermuten Syriens Christen islamische Extremisten hinter der Tat. Zudem deute die Art der Ermordung des Priesters darauf hin. Islamistische Kreise verbreiten hingegen, hinter dem Mord stehe in Wahrheit die Assad-Regierung, deren Ziel es sei, den Religionskonflikt zwischen Christen und Moslems zu verschärfen, um das Oppositionsbündnis zu schwächen.
Ein Bündnis mit äußerst bizarrer Zusammensetzung, das sich im vom Westen unterstützten Syrischen Nationalrat (SNC) zusammengeschlossen hat. Denn in dem im August vorigen Jahres mit Sitz in Istanbul gegründeten Gremium sitzt neben Vertretern von Kurden und syrischen Christen auch die radikalislamistische Moslembruderschaft. Und auch Sabri Alkans ADO ist im SNC vertreten.
„Wir haben nur wenig Verbündete gegen das Assad-Regime mit seiner sozialistischen Baath-Partei“, erklärt Alkan die ungewöhnliche Allianz. Vor vier Monaten hatte sich das Bündnis in Kairo auf einen Verfassungsentwurf für eine Ära nach dem Ende der Diktatur der Baathpartei verständigt. „Die Moslembruderschaft hat dabei einem in dem Entwurf verankerten freien und säkularen Staat Syrien zugestimmt“, betont Alkan.
Ob sich die Radikalislamisten jedoch nach einem Sturz der syrischen Regierung auch tatsächlich an diese Erklärung halten werden, daran hat auch er seine Zweifel. „Wir haben aber keine Wahl, wenn wir nicht isoliert sein wollen. Unsere einzige Hoffnung ist der Westen“, nennt er den Grund für das Eingehen des Bündnisses.
Doch die Gleichgültigkeit des christlichen Westeuropas gegenüber seinen Glaubensbrüdern in Nahost macht ihn nachdenklich. Zu spärlich fallen die Berichte in den Medien über das Leid der Christen aus, zuwenig Solidarität sei zu erkennen, wenngleich die Bundesregierung deutschen Hilfsorganisationen erst kürzlich 1,3 Millionen Euro zur Verfügung stellte, um syrische Flüchtlinge im Libanon (JF 37/12) zu unterstützen.
„Das, was jetzt passiert, ist erst der Anfang des Leids“, befürchtet Alkan. „Je länger der Bürgerkrieg dauert, desto schlimmer wird es für uns Christen“, ist er sich sicher. Die ADO hat bereits Spendenaktionen gestartet, um Lebensmittel, Zelte und Schlafdecken für in Not geratene Christen in Syrien zu besorgen.
„Unter Assad hatten wir auch zu leiden, aber durch den Bürgerkrieg ist es jetzt noch viel schlimmer geworden“, beschreibt Alkan die aktuelle Situation vor Ort. Die jüngsten Autobombenanschläge, wie etwa der vom 21. Oktober in der Altstadt von Damaskus, der in unmittelbarer Nähe des Sitzes der christlichen Patriarchen erfolgte, seien als Warnung gedacht. Und als Aufforderung an die als regierungsfreundlich geltenden Patriarchen, die Seite zu wechseln. Damaskus gilt neben den weiter nördlich gelegenen Städten Homs und Aleppo als Hochburg der syrischen Christen.
Auch Entführungen wie die des Priesters Haddad haben inzwischen erheblich zugenommen. Im September etwa wurde Kamme Elyas verschleppt. Ein Arzt und Familienvater. Wer dahinter stecke, wisse man bis heute nicht, sagt Alkan. Die ADO hatte über ihr Kontaktnetzwerk zunächst versucht herauszufinden, in wessen Händen sich der Entführte befindet. Doch der Druck auf die Angehörigen des Mannes lastete zu stark, sie zahlten den Entführern schließlich 25.000 Euro, um seine Freilassung zu erwirken.
Anfang Oktober wurde Georg Dham entführt. Einst war er 15 Jahre lang Ortsvorsteher eines syrischen Dorfes. Doch die Mehrheitsverhältnisse im Ort haben sich inzwischen geändert, die Christen sind zur Minderheit geworden. Dhams Angehörige wandten sich an arabische Familienclans. In der Hoffnung, daß man dort Näheres über seinen Aufenthaltsort in Erfahrung bringen könnte. Mit Erfolg. Die Clans konnten sich noch gut an die Amtszeit des einstigen Ortsvorstehers erinnern, wußten von seinem positiven Wirken auch gegenüber den Arabern. Die Clans erreichten, daß Dham ohne Lösegeldforderung laufengelassen wurde. „Aber er steht noch immer unter Schock und leidet unter Orientierungsschwierigkeiten, weil man ihm während der Entführungszeit stets die Augen verbunden hatte“, erzählt Alkan.
Noch kämen die Leute wieder frei. „Im Irak war das anders“, warnt Alkan jedoch vor Schlimmerem. Neben der Geldbeschaffung für radikalislamistische Organisationen würden die Entführungen auch dazu dienen, Christen dermaßen einzuschüchtern, daß sie ihre Heimat von sich aus verlassen.
„Das Ziel ist die Arabisierung und Islamisierung der christlichen Hochburgen in Syrien“, ist Alkan überzeugt. Die Wirren des Bürgerkriegs seien ein geeigneter Nährboden, um dieses Ziel durchsetzen zu können. „Die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist nun praktisch aufgehoben, wir leben momentan in einem rechtsfreien Raum“, sagt Sabri Alkan.
Vor allem islamistische Söldner, die in der Regel außerhalb der oppositionellen Freien Syrischen Armee operieren, seien aufgrund ihrer unkontrollierten Angriffe bei syrischen Christen gefürchtet. Nicht zuletzt deshalb, weil sie bereits in Afghanistan, Jemen und Libyen Angst und Schrecken verbreitet hätten.
„Unsere Leute sitzen wirklich auf gepackten Koffern“, erzählt Alkan. Einige hätten bereits Haus und Hof verkauft, um Schlepperbanden bezahlen zu können, die sie nach Europa bringen sollen. Über die noch unproblematische Einreise in die Türkei würden die Schlepper die Flüchtlinge dann zumeist über die türkisch-griechische Landverbindung oder die nahe am türkischen Festland befindliche griechische Insel Lesbos nach Athen schmuggeln.
Von dort gehe es über die Hafenstädte Patras und Piräus in die wirtschaftlich attraktiveren Länder Nordeuropas. Auch nach Deutschland. „Die Schlepper nehmen den Flüchtlingen ihre Pässe ab und geben ihnen dafür gefälschte mit gültigem Visum. Nach erfolgreicher Einreise müssen sie die gefälschten Pässe den Schlepperbanden zurückgeben und bekommen ihre richtigen Pässe zurück, mit denen sie dann Asyl beantragen“, beschreibt Alkan das System der Schleuser, die auf diese Weise bewirken wollen, daß der Herstellungsort der gefälschten Dokumente verborgen bleibt.
Die Assyrisch Demokratische Organisation sei gegen die Flucht der Christen, stellt Alkan klar, auch wenn er Verständnis für die Flüchtenden hat. Doch durch die Flucht würden die Christen in Syrien weiter marginalisiert. Für ihn ist dies das schlimmste Szenario. „Denn dann wäre unsere Heimat für immer verloren.“
Hinrich Rohbohm
Redaktion „Die Freiheit“
Quelle: 12 Hintergrund JUNGE FREIHEIT
Berlin Nr.46/12/9. November 2012
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Perspektiven der Assyrer in Syrien
In der Hoffnung auf Unterstützung der Bundesregierung für die Assyrer in Syrien, appellierte die Assyrische Demokratische Organisation am 17. November 2012 in einen offenen Brief an die Bundestagsabgeordnete Angelika Graf (SPD), Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte.
Sehr geehrte Frau Graf,
tagtäglich sterben in Syrien viele Menschen in den Gefechten zwischen dem Assad- Regime und den syrischen Rebellen. Extremistische Gruppen kontrollieren mittlerweile einige Teile des Landes. Die Kämpfe weiten sich zunehmend auf ganz Syrien aus. In den letzten Tagen haben die Kämpfe auch auf den Nordosten Syriens bis die Provinz Hassake übergegriffen. Dort wurden zahlreiche Ortschaften nach Übernahme durch die Rebellen von der syrischen Armee bombardiert, tausende von Einwohnern sind innerhalb von Stunden geflüchtet, teilweise über die Grenze in die Türkei während andere versuchten, die Provinzhauptstadt Hassake zu erreichen, um bei ihren Verwandten bzw. Volkangehörigen Unterschlupf zu suchen.
Als ethnische und religiöse Minderheit, sind die christlichen Assyrer, die verschiedenen Konfessionen angehören und deren Muttersprache das Aramäische ist, besonders schwer von den Kämpfen betroffen, da sie immer häufiger den Angriffen fanatisch-islamistischer Gruppierungen innerhalb der Rebellen ausgesetzt sind (siehe aktuelle Bilder nach den Luftangriff auf die assyrische Ortschaft Tall-Nasri in der Khabour Region, Provinz Hassake am 14. November 2012). Ihre Häuser und Kirchen werden landesweit zerstört und geplündert, Waisenhäuser zerbombt, und inzwischen auch assyrische Ortschaften zerstört. Entführungen, Vergewaltigungen und Ermordungen sind an der Tagesordnung. Zuletzt wurde Pfarrer Fadi Haddad in einer Ortschaft nahe Damaskus entführt und ermordet. Den Christen bleibt nur die Flucht in die Nachbarstaaten Libanon, Jordanien, Türkei oder nach Europa.
Die Assyrisch-Demokratische Organisation (ADO) als nationale, politische und demokratische Bewegung wurde bereits 1957 im syrischen Qamishli zum Schutz der Rechte der Assyrer gegründet und ist seit 2005 in der syrischen Opposition aktiv. Sie möchte die verfassungsmäßig garantierte Anerkennung der christlichen Assyrer als einer indigenen nationalen Volksgruppe in einem pluralistischen Syrien erreichen. Bereits 2005 war die Assyrische Demokratische Organisation Teil der sogenannten Gruppe der „Damaskus-Erklärung“, die Reformen und Demokratie forderte. Sie ist Gründungsmitglied des Syrischen Nationalrats (SNC) und auch in der neu gegründeten Syrischen Nationalen Koalition der syrischen oppositionellen Kräfte vertreten. Ihr Ziel ist es, die nationale Existenz Syriens als Einheit zu bewahren und sich für die Einhaltung von Menschenrechten, Minderheitenrechten, Gleichberechtigung aller Staatsbürger/innen, politische, wirtschaftliche und kulturelle Freiheit im Land einzusetzen.
Wir als ADO wollen verhindern, dass die Assyrer in Syrien das gleiche Schicksal erleiden wie im Irak. Die Christen sind in Syrien mit ca. 12-15% der Gesamtbevölkerung (ca. 3 Mio.) vertreten. Es muss verhindert werden, dass die Ereignisse zum einem Exodus nach Europa führen und es damit zu einer Auslöschung der indigenen Christenbevölkerung kommt. Dies wäre ein schwerwiegender und unwiederbringlicher Verlust für das Christentum des gesamten Nahen Ostens. Noch vor vierzig Jahren war es auch unvorstellbar, dass in der Türkei einmal fast keine christliche Bevölkerung mehr existieren würde. Die Assyrer wurden hier bis auf eine geringe Restbevölkerung innerhalb nur einer Generation aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben. Dieses Schicksal sollte sich in Syrien nicht wiederholen und mit allen Kräften unbedingt verhindert werden. D.h. aber, dass man sofortige humanitäre Unterstützung bereitstellen muss, um das Leiden zu lindern.
Syrien gehörte zu den ersten Gebieten, wo sich das Christentum verbreitete. Seitdem lebten aramäischsprachige Assyrer hier und pflegten ihre alte christliche Kultur. Syrien war die Wiege des Urchristentums und dieses sollte als Kulturerbe der Menschheit unter besonderem Schutz stehen. Deshalb muss es dort weiter existieren und darf nicht endgültig zerstört werden.
Wir sind sehr in Sorge über das Schicksal unserer assyrischen Bevölkerung in der Heimat. Täglich erreichen uns ihre Hilferufe, da sie langsam zwischen den Fronten zerrieben werden. Es fehlt ihnen am Notwendigsten. Die Flüchtlinge haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren, Nahrungsmittel sind beinahe unerschwinglich geworden. Sie benötigen dringend Hilfe, um überleben zu können. Tausende von Christen sind bereits aus Homs (siehe Bilder im Anhang), Aleppo, Deir ez-Zor und anderen Städten geflüchtet und jeden Tag werden es mehr, die sich zur Flucht rüsten.
Wir wollen, dass die Menschen ihre Heimat nicht verlassen müssen und sind dankbar für jede Unterstützung vor Ort, die dazu beiträgt, dass die christlichen Assyrer nicht entwurzelt werden. Eine Ausrottung der Urchristen des Nahen Ostens wäre ein schwerwiegender und unwiederbringlicher Verlust für das gesamte Christentum.
Wir sind auf Ihre Hilfe angewiesen, da die Assyrer vollkommen allein auf sich gestellt sind und keinen Staat haben, der sich um sie sorgt. Die Sunniten erhalten die Unterstützung ihrer arabischen Verbündeten aus Katar, Saudi-Arabien, der Türkei und anderer islamischer Länder. Die Alewiten und Schiiten können auf Hilfe des Irans zählen, den Turkmenen in Syrien steht die Türkei zur Seite.
Wir appellieren daher an Sie als Vertreter der Politik, sich verstärkt für die Christen in Syrien einzusetzen und den syrischen Flüchtlingen hier in Deutschland vorübergehend Aufenthalt und Anerkennung zu gewähren.
Sehr gerne sind wir bereit, Ihnen weiterführende Informationen zu übermitteln oder auch in einem persönlichen Treffen ausführlicher über die Lage der Assyrer zu berichten und Ihre Fragen detailliert zu beantworten.
Wir würden uns sehr über zeitnahe Terminsvorschläge zu einem Gespräch freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Issa Hanna
Assyrische Demokratische Organisation Sektion Europa
[1] Es ist bemerkenswert zu wissen, dass die Assyrische Demokratische Organisation in der Stadt Qamishli am 15. Juli 1957 gegründet wurde und seitdem in ihrem Kampf friedliche demokratischen Mitteln anwendet und für die verfassungsrechtliche Anerkennung der Existenz und die nationale Identität des assyrischen (suryoye) Volkes und für die Zusicherung all seiner Rechte arbeitet, im Rahmen der Einheit Syriens, sowohl auf Landes- als auch auf Bevölkerungsebene. Sie strebt den Aufbau eines säkularen demokratischen Regimes an, der geprägt ist von den Werten des modernen Zeitalters und dem Aufbau eines Rechtsstaates mit demokratischen Institutionen und Teilhabe der gesamten Bürgerschaft.